Kenneth sprang im letzten Moment aus seinem angeschossenen Flieger, raste vertrauensvoll dem Boden zu, wie er es bereits hunderte Male getan hatte und zog dann die Reißleine. Es hatte ihn immer gereizt, diesen Zeitpunkt so lange wie möglich hinauszuzögern. Doch diesmal öffnete sich der Fallschirm nicht. Das Fallen in atemberaubender Geschwindigkeit fühlte sich plötzlich an, wie von der Erde verschlungen zu werden. Nachdem er sie als Flieger überwunden glaubte, schien sie ihn auf diese Weise rachsüchtig zurückzuholen. Das gleichmäßige Luftdröhnen und sein hoffnungslos in die Tiefe gezwungener Körper ließen ihn auch aus dem Gefühl für die Zeit fallen und die Sekunden zu einer Ewigkeit dehnen. Ihm war, als hätte er den Boden längst durchbrechen und überwinden müssen, durch eine mystische Unterwelt, ein unwirkliches Negativ der Erde rauschend, das ihn vor dem Aufprall bewahrt und in sich aufgenommen hatte. Seine Gedanken fanden dabei keinen Halt in einer möglichen Rettung, die aussichtslos war und kreisten in ihrer eigenen Leere.
Kenneth nahm jetzt einen Widerstand unter seinen Füßen wahr, den er beinahe ersehnte, um sein Schicksal endlich zu erfüllen. Aber etwas unter ihm gab nach, als wäre die Erde nicht bereit, ihn zu zerschmettern, um sein Leiden unerbittlich zu ver-längern, da er sich stets über sie erhoben hatte. Kurz darauf spürte er seinen Aufprall und fühlte, wie er in etwas einbrach, das weicher als der Boden war. Er glaubte, hochspritzendes, quellendes Blut vor sich zu sehen, das bald sein ganzes Gesicht bedeckte. Der Planet gedachte ihn nicht einfach nur zu zerbrechen, sondern langsam auszubluten, nachdem er dem Element seiner Träume entrissen worden war. Bereit für den Tod schloss er die Augen. In einer Schockstarre bemerkte er, dass sich sein Brustkorb weiterhin heftig hob und senkte. Er atmete noch. Er atmete und meinte doch, keinen lebendigen Körper mehr zu besitzen, der die Luft aufnehmen konnte. Minutenlang fehlte ihm der Mut, die Augen wieder zu öffnen. Als er es schließlich tat, sah er sich in einem riesigen Berg geernteter Tomaten liegen. Er wischte sich mit beiden Händen ungläubig die Früchte von den Wangen und nahm sie mit dem Mund auf. Es war das wundervollste Aroma, das er je geschmeckt hatte.
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